roles & places / AVRAM anamaria (Malerei, Objekt, Installation)
Anamaria Avram schafft sinnbildliche Meditationen, Spiegelbilder aus dem Lebensinnenraum. Die Malereien, Objekte und Installationen nähern sich aus verschiedenen Richtungen ihrem Thema: Identität. In den Werken bildet sich ein mystisches Selbstverstehen ab, bei erstaunlicher Klarheit in der Symbol- und Formensprache. Es ist eine komplexe Selbstbefragung, beginnend mit der eigenen Herkunft über Versuche der individuellen Verortung bis zu Thesen zum Einfluss kultureller und persönlicher Verhaltensstrategien. Identität – das ist eine bewegliche, launische und abhängige Antwort auf die Frage nach dem Selbst.
Avrams Stillleben in der Tradition des Memento Mori stellen zeitliche Verbindungen her. Die Sinnbilder des Vergänglichen sind Sentenzen des Lebens. Sie zitieren den Tod ohne Schrecken, eher als Zusammenfassung. Welche Indizien lässt die Seele zurück? Gefaltete Papierflieger, Tarotkarten, Weingläser und tote Vögel - übriggebliebene Bezüge zum Leben; die Totenmaske der Identität.
Abdrücke des lebendigen, aber abwesenden Bewusstseins sind die Malereien überwiegend leerer Räume. Indiskrete Einblicke durch Raumfluchten und Spiegel, verstellte Wege und Ausblicke durch offene Türen und Fenster machen den Innenraum ambivalent: tatsächliche Enge oder potenzielle Weite bekommen schicksalhafte Dimension. Und die eingefügten gegenständlichen Bildsymbole arbeiten wie Tiefenmesser am Bildgehalt mit: der schwarze Hund und die weiße Katze, das Bild im Bild und der Vorhang, der die leere Bühne offenbart: für das distanzierte Rollenspiel - oder den Bekenntnismonolog. In diese Raumstillleben schiebt sich leitmotivisch die blaue Hand. Ursprünglich simples Arbeitsmittel - der indigoblaue Gummihandschuh - wird er in Avrams Malereien und Objekten zur zweiten Haut, wird zur leeren Hülle oder zum Fetisch und verselbständigt sich zum erzählenden Motiv. Realistisch oder surrealistisch aufgefasst verbirgt die signalblaue Hand die Individualität und bedient sich universeller Handzeichen und kulturell-konventioneller Formen für die Fingerzeige des Schicksals.
Stilistisch ähnlich inszeniert ist das Motiv der Kaffeetasse. Avram spielt bei der konstanten äußeren Form einer weißen Henkeltasse mit dem inhaltlichen Kontrast. Belebende Wirkung oder gefährliches Gift? Sinnbild kommunikativer Geselligkeit oder selbstreflexiver Augenblick des Alleinseins? Das Offenbarungspotenzial des Kaffees – und des Kaffeesatzes – ist ein spekulatives Spiel mit Prophezeiungen.
In den gemalten Selbstporträts führt die Identitätssuche von Selbstbehauptung bis Selbstauslöschung. Mittelalterlich in Komposition und Motivik oder klassisch modern bis zeitgenössisch kann sich Anamaria Avram als Figur adaptieren. Dabei gelingt eine verblüffende Vielfalt an Verweisen. Ikonenmalerei, den Stil der Vorrenaissance-Malerei und Zitate aus der Flämischen Kunst des Gouden Eeuw kann sie ihren Gesichtern anverwandeln. Und man sieht kokette und humorvoll ironische Züge neben der Reduktion zur Maske und schließlich die reine, an Abstraktion grenzende Form addierter Flächen. Wenn die Malerei von Anamaria Avram auch eher als gegenständlich zu bezeichnen ist, wird sie doch dominiert von großflächigen Texturen. Hier erreicht sie eine außergewöhnliche Wirkung durch das pastose Auftragen mehrerer Farbschichten und partielle cut outs in den plastischen Erhabenheiten.
In Öl, Acryl und Temperafarbe sowohl auf Leinen als auch auf anderen Malgründen wie Beton entstehen sehr konkrete stoffliche Suggestionen. Darauf platziert sie detailgenaue Elemente in ausführlich altmeisterlicher Malweise. Auf den herben Untergründen geraten sie in Schwingung und öffnen die Bildwelt zu einem magischen Realismus. Hier setzt die Lesbarkeit der Werke an, die oft an die hidden elements der Surrealisten erinnern und an Werke von Giorgio de Chirico und René Magritte - allegorisch transformierte Bestandsaufnahmen des Inneren.
Die Motivketten und die klare, nahezu architektonische Formensprache sind wesentliche Voraussetzungen für die konzeptionelle Weiterführung des Themas über die Malerei hinaus. Avrams Objekte, Installationen und Videoarbeiten intensivieren die Suche nach den Darstellungsmöglichkeiten von Identität. Und sucht man nach einem rumänischen Gen im Werk von Anamaria Avram, findet man es in Mystik und Spiritualität, in den magischen, unauflösbaren Zusammenhängen des Lebens, für die die Künstlerin eine außerordentliche Intuition zeigt und sie modernen Zweifeln zum Trotz verteidigt.
© Dr. Tina Simon / Publicist / Leipzig (September 2020)
Einführung: Dr. Tina Simon / Publizistin / Leipzig, TAmz-Performance: Anne Dietrich / Dresden